Glosse: Von Außen betrachtet

Tatort: [shift] + [2]

Zollzeichen sind die neuen Anführungsstriche. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt im abweichenden Aufruf zwischen den Systemen.

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Ein Gespenst geht um in deutschen Redaktionsstuben. Es versteckt sich in der oberen Reihe der Tastatur, gleich unter den Funktionstasten. Es lauert auf dich, aufgedruckt über der Ziffer zwei. Es ahnt, was du willst. Es fühlt, was du denkst. Es lockt dich mit dem Versprechen der Einfachheit: „Komm, gib nach! Niemand wird es merken oder Anstoß nehmen!“. Du blickst dich um, vergewisserst dich, dass niemand schaut. Und lässt dich willentlich vom Zollzeichen verführen.

Ob für die wörtliche Rede oder das Hervorheben von Begriffen und unüblichen Bezeichnungen: Das Zollzeichen befindet sich in Deutschland auf dem Siegeszug. Während sich selbst ernannte Hüter der Sprache von Schiller und Goethe in Feuilletons und – zumeist weit weniger grammatikalisch korrekt – in Foren über das Gendern echauffieren, reibt sich der stille Schelm der Computertastatur genüsslich die Hände.

Denn das Zollzeichen ist das, was sein Name aussagt: das Ersatzzeichen für die Einheit Zoll. Die seit der Einführung des metrischen Systems im Januar 1872 in einem stetigen Rückzug befindlich ist. Doch vor allem: Es ist kein Anführungszeichen.


Das Zollzeichen ist das, was sein Name aussagt: das Ersatzzeichen für die Einheit Zoll. Die seit der Einführung des metrischen Systems im Januar 1872 in einem stetigen Rückzug befindlich ist. —   Thomas Raukamp

Hartnäckige Anhänger des Zollzeichens breiten sich jedoch aus: Selbst die altehrwürdige „Tagesschau“ benutzt sie online als Ersatz für die deutschen Anführungszeichen.

Über die Gründe lässt sich famos spekulieren. Ich vermute, dass eine Spur von Faulheit auf ein zunehmendes Ausmaß an Unwissen trifft. Denn der Aufruf grammatikalisch korrekter deutscher Anführungszeichen erfordert immer eine gewisse Form des Klammergriffs: Während dieser auf dem Mac die Tastenkombinationen [alt] + [^] und [alt] + [shift] + [W] respektive [alt] + [2] erreicht, sind auf aus Linux abgeleiteten Betriebssystemen wie Chrome OS [alt gr] + [v] und [alt gr] + [b] für das öffnende beziehungsweise schließende „Gänsefüßchen“ zuständig. Warum sich niemand auf eine gemeinsame Belegung einigen konnte, entzieht sich indes meinem Wissen – wahrscheinlich waren dieselben Spaßvögel am Werk, die schon Freude am Auswürfeln der Verteilung des @-Zeichens hatten.

Noch verwirrender wird es bei Windows-Rechnern. Die verzichten einfach ganz auf nachvollziehbare Tastenkombinationen und zwingen zu einem nahezu absurden Verhalten: Halte die [alt]-Taste und gib „0132“ oder eben „0147“ ein. Das klappt allerdings nur mit einem Ziffernblock und schließt somit die meisten Laptops aus. Da mutet es fast wie ein Wunder an, dass Microsoft nicht einfordert, dass der korrekten deutschen Sprache Zugewandte zusätzlich dreimal in die Hände klatschend um ihren Schreibtisch laufen müssen.

Die „Gänsefüßchen-Problematik“ ist bei mir übrigens Ausschlusskriterium für noch so begehrte Hardware: Samsungs Edel-Flunder „Galaxy Tab S9 Ultra“ ist immer wieder kurz davor, meinen Laptop als Hauptarbeitsgerät zugunsten eines Tablets einzumotten. Doch ich gestehe das Strecken der Waffen: Bisher ist es mir auf keinem Android-Tablet gelungen, bei verbundener Bluetooth-Tastatur die deutschen Anführungszeichen zu finden.

Pixel-Smartphone-Fan und Chromebook-Nutzer Thomas Raukamp leistet sich in lockerer Folge einen ironischen Blick aus dem und auf das Google-Universum.

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Hallo Thomas,

MacLife ist zwar primär keine Zeitschrift für Typographen, aber wenn Du die korrekten An- und Ausführungszeichen bemängelst, solltest Du das mit all dem Drumherum tun: Die Tastenkombination [Alt]^ „ am Mac korrespondiert mit [Alt][Shift]^ “, das hast Du wohl übersehen. Ebenso gibt es auch einfache Anführungszeichen, nämlich unten , [Alt]S und oben ‘ [Alt]#. Die Kombination [Alt][Shift]# ruft hingegen den Apostroph ’ (Unicode U+0019) auf, welcher in Wahrheit ident mit dem einfachen englischen Ausführungszeichen (Right Single Quotation Mark) ist. Gegenwärtig wird er heute meist durch das einfache deutsche Ausführungszeichen ‘ dargestellt, weil eben niemand mehr weiß, dass da ein Unterschied besteht bzw. wie man den Apostroph auf der Tastatur überhaupt findet. Der im Fontgrid so benannte Apostroph ' (Apostrophe, U+0027) ist in Wahrheit das einfache Schreibmaschinen-Anführungszeichen, siehe unten.

Zudem kommen auch noch Guillemets in deutschen Texten vor, die im Unterschied zu französischen Texten mit der Spitze nach innen zu setzen (schreiben) sind, also [Alt][Shift]Q » und [Alt]Q «, wobei es natürlich auch dafür einfache Glyphen gibt, erreichbar über [Alt][Shift]N › bzw. [Alt][Shift]B ‹. Der Ordnung halber seien noch die englischen Ausführungszeichen ” [Alt][Shift]2 erwähnt.

Und auch das von Dir erwähnte Zollzeichen, das in mathematischen Formeln in unterschiedlichen Funktionen wie auch für die Sekunde " [Shift]2 stehen kann, hat eine einfache Version für die Minute ' [Shift]#. Tatsächlich sind die erwähnten Zeichen aber nicht wirklich Zollzeichen, sondern (Schreibmaschinen-)Anführungszeichen. Diese lassen sich auch unter Windows für die Office-Programme als intelligente Amführungszeichen formatieren, sodass nach dem Tippen oder während des Einlesens von Text eine Umwandlung in typografisch korrekte Zeichen erfolgt. Echte Zollzeichen sind in den meisten Schriften gar nicht vorhanden, da sie im Font nur außerhalb des Standardzeichensatzes positioniert werden können, also vornehmlich in OpenType-Fonts. Aufrufen kann man sie trotzdem über [CRTL][CMD][LEER] (Emoji & Symbole einblenden) in der Zeichenübersicht und hier unter Eingabe ihres Unicodes in das Suchfeld: U+2032 ′ bzw. U+2033 ″, danach Einfügen durch Doppelklick an der Cursorposition im Dokumentfenster, wobei in den meisten Fällen wegen der fehlenden Zeichen im aktuellen Font eine Ersatzschrift verwendet wird, also sollte man sie nur in Ausnahmefällen anwenden.

Anstatt nun den Unicode für ein gewünschtes Zeichen mühsam aus einer Tabelle herauszusuchen, erfragt man ihn schneller im Web, irgendjemand wird ihn schon wissen :).

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Anführungszeichen automatisiert für native Mac-Apps in den Systemeinstellungen festzulegen, abhängig von der Systemsprache. Unabhängig davon ist es in ebendiesen Programmen wie TextEdit oder Numbers möglich, unter [Bearbeiten/Ersetzungen] intelligente Anführungszeichen festzulegen. Das Fenster kann als permanent schwebende Palette ausgestellt werden [Bearbeiten/Ersetzungen/Ersetzungen einblenden], sodass temporär umgeschaltet werden kann bzw. alle im Text oder in der Auswahl vorhandenen Zeichen nach den Vorgaben festgelegt werden können. Auch in den Systemeinstellungen können für das Ein- bzw. Ausschalten unter [Tastatur/Kurzbefehle] Shortcuts festgelegt werden, mit denen sich die intelligenten Anführungszeichen *on the fly* ein- bzw. ausschalten lassen.

In Layoutprogrammen wie Adobe InDesign kann das Glyphenbedienfeld, in QuarkXPress die Glyphenpalette, in Affinity das Untermenü *Zeichen einfügen* oder *Emojis & Symbole* zum vereinfachten Einsetzen von Zeichen, die über einen selten genutzten Shortcut oder nur über ihren Unicode erreichbar sind, verwendet werden. Ebenso in Adobe Photoshop. Und unter Windows lassen sich Symbole ähnlich wie am Mac über die Zeichentabelle einfügen.

Und wahrscheinlich habe ich noch einiges vergessen. Gott grüß das, was von der Kunst übrig blieb!
Peter

Hallo Peter, vielen Dank für deine umfangreiche Antwort – die ja schon fast einen eigenen Artikel darstellt! Und die ich viel zu spät gesehen habe.

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